Das Märchen vom Jungen Assadi mit dem Mut eines Löwen

Der Junge Assadi lebte in einer schrecklich ungerechten Zeit. Einer Zeit zu der bereits der letzte Zwerg tot geheißen war und die Riesen schon lange diesen Planeten verlassen hatten. Die Elfen tanzten nur noch in der Dämmerung an gut verborgenen Orten und Feen schien es nicht mehr zu geben. Der Herrscher seines Heimatlandes war der Böse Kröser, über den man schreckliche Dinge von Ohr zu Ohr hauchte, die jedoch niemand genau wissen konnte. Spürbar für alle war jedoch das eigenartige Verschwinden von Menschen. Heute war es eine liebevolle Oma, die zu den letzten gehörte, welche ihren Enkeln noch herrliche Geschichten und Schauermärchen erzählte. Am nächsten Tag verschwand ein armes Mädchen, das nichts tat als ihre Blumen auf dem Markt zu verkaufen und dabei ein Liedchen zu singen.

Zu diesen armen Menschen, die noch gestern im Leben standen, zur Arbeit gingen und Freude verbreiteten, gehörten auch die Eltern des Jungen Assadi. Du kannst dir vorstellen, wie traurig er darüber war, seine lieben Eltern verloren zu haben. So saß er auf einem Stein vor seinem Elternhaus und weinte so sehr, dass es ihn schüttelte und der ganze kleine Mensch zitterte wie ein Berg vor einem assadi1nahendem Erdbeben. Und richtig, es durfte nicht bei dem Gezittere und Gejammer bleiben.  Er hatte ja nichts mehr zu verlieren. Also sammelte Assadi seine liebsten Schätze und etwas Essen und trinken zusammen und machte sich auf den Weg zu dem bösen Herrscher des Landes, von dem es hieß seine Seele sei die einer Kröte und jeder, der ihren Hauch zu atmen wagte, würde auf der Stelle in ebenso ein Krötentier verwandelt. Dem Jungen grauste bei der Vorstellung. Aber er fühlte sich zum Platzen erfüllt mit einer Liebe, die ihm schon den Weg weisen wollte. So kam er wundersamer Weise bereits nach einem einzigen Tagesmarsch an das weit entfernte Anwesen des bösen Herrschers Kröse, fand die hundert Sicherheitsschlösser an Toren und Türen allesamt geöffnet und trat ungehindert direkt vor den Schrecklichen: ,,Wo hast du meine Eltern!“ schrie es aus der jungen Kehle wie von tausend Posaunen. ,,Das du hier Eintritt gefunden hast, zeigt deinen besonderen Mut! Aber dahin, wo sie gefesselt liegen, kann keiner gelangen, der nicht von meinem Geiste ist. Komm her und küsse mich, dann wird dir der Weg wie von selbst gelingen!“ Der Junge zitterte schon wieder wie ein brodelnder Vulkankrater, trat aber einen Schritt zurück und weigerte sich so wortlos, sich dem Bösen anzuschließen.

Da dröhnte Kröse: ,,Alle, die ich nicht bezwingen konnte, meinem Geist nachzugeben, schickte ich zur Löwengrube. Dort haust ein wilder Löwe  aus fernen Ländern. Wer ihn zu zähmen schafft, kann auf assadi2seinem Rücken ungehindert zur Wiese des goldenen Lichtes reiten und all die anderen Verschwundenen erlösen. Wer aber den Kampf gegen das Untier verfehlt, verwandelt sich wie alle anderen vor ihm auf der Stelle in eine Blume auf der Wiese des goldenen Lichtes. Das goldene Zauberlicht begleitet meine Herrschaft seit acht Jahren. Doch wenn bis zum Ende des neunten Jahres keiner kommt, der alle die in Blumen verwandelten erretet“– ein verrücktes, gemeines ja schauderhaftes Grinsen breitete sich über sein Gesicht und schwoll zu einem  Lachen, das diesen Namen nicht verdiente, verhöhnte, was gut und rein war und übertönte alles, was in dem Jungen je erklungen war. Assadi hielt sich die Ohren und kämpfte gegen einen Schmerz, der ihn in tausend Stücke zu sprengen drohte.

Wie mit Peitschen geschlagen rannte er in den nahen Wald und verbarg sich schluchzend unter einer Weide. Da wehte ein sanfter Wind und spielte ihm die weichen Weidenkätzchen um Kopf und Brust. Und es ging ein tröstendes Raunen durch den Busch, das ihn einschläferte. Am nächsten Morgen musste er sich von so weit her durch das Traumland zurückkämpfen, dass er zunächst seine Eltern rief, als ob sie ihn zum Frühstück holen sollten. Doch niemand kam, der Geruch von Waldboden stieg an Stelle von Marmeladen- und Kakaoduft in seine Nase und all das Schreckliche, was er gehört hatte, drang wieder vor zu ihm.

Nein, er konnte nicht weiter gehen, zu schrecklich hatte ihn die Rede des bösen Kröse erschauert. Er wollte nach Hause gehen und nach einem neuen Leben suchen. Vielleicht konnte er bei seiner Tante wohnen und den Verlust allmählich verkraften. Er ging mit zögernden Schritten seinen stolzen Weg in die entgegen gesetzte Richtung. Jetzt fühlte er sich schwach und müde. Deswegen setzte der Junge sich schon nach kurzer Zeit auf einen Stein, um eine Pause zu machen.

assadi3Es sauste ihm ein Schmetterling um die Ohren. Er wollte schon nach dem Gewuschel an seinem Kopf schlagen, da erkannte Assadi erstaunt ein kleines wunderschönes Elfenwesen in dem Geflatter. ,,Kehr nicht um. Sei nicht dumm. Geh zurück. Wahrer Mut führt zum Glück.“ So säuselte es wie ein kleines Liedchen um ihn. Eine Weile blieb der Junge noch ganz in sich selbst versunken auf dem Stein sitzen. Dann sprang er auf und rannte wiederum in die andere Richtung voran. Assadi wusste jetzt, dass es seine einzige Bestimmung war gegen den Löwen zu kämpfen und zu siegen. Zorn trieb ihn vorwärts und verlieh ihm ungeahnte Kräfte, so dass er wie mit Siebenmeilenstiefeln laufen und laufen konnte bis er den Ort des Schreckens nach zwei Tagen und einer Nacht endlich erreichte.

Getarnt zwischen zwei hohen Tannen erblickte er das Kampfgeschehen im Tal des Löwen. Er sah alte und junge Männer, Kinder und Frauen, die sich schreiend und mit Stöckern und Messern fuchtelnd auf das brüllende Untier stürzten und bereits aus vielen Wunden bluteten. Gerade wollte er sich mitten assadi4hinein stürzen in den wilden Kampf, als er wieder das seltsame Gesäusel hörte ,, Kehr nicht um. Sei nicht dumm. Geh zurück. Wahrer Mut führt zum Glück. Siehe die Fehler an und bedenke was man daraus lernen kann. Lass dein Herz dich führen und nicht die Wut deine Seele verschnüren.“ Jetzt erst erreichten diese Worte die Tiefe seines Wesens und hallten zauberhaft in ihm nach. Assadi besah sich von neuem das gräuliche Schauspiel dort unten und sah auf einmal, wie Pfeile des Hasses von den Menschen ausgingen, die das große Tier nur in majestätischer Eleganz zurückschleuderte ohne dabei den geringsten Schaden zu nehmen. Was der böse Herrscher in seiner Krötennatur nicht geschafft hatte, musste dieses arme Tier, das wild aber nicht schlecht war, für ihn vollbringen. Der Löwe führte die Trauernden, nach Gerechtigkeit suchenden zu Hass und Gewalt, die niemals etwas anderes hervorbrachten als ihren eigenen Tod.

Lange saß der Junge so da und erschauerte, wenn er einen nach dem anderen dahingehen sah. Merkte aber auch, dass die toten Körper nach kürzester Zeit wie von Zauberhand verschwanden. Es musste sein, wie der Böse gesagt hatte, sie würden noch bis Ende des Jahres als Blumen auf der Wiese des goldenen Lichtes überstehen.

assadi5Als die Kämpfe ein Ende gefunden hatten, trat Assadi hervor, ging einen Meter und setzte sich gut sichtbar für den Löwen auf die grasbewachsene Böschung. Der Löwe erblickte ihn, bleckte die Zähne und rannte auf ihn los. Schon wollte der Junge sich einen Dummkopf schimpfend aufspringen und doch kämpfen. Da hörte er wieder das Säuseln  ,,Lass dein Herz dich führen und nicht die Wut deine Seele verschnüren“ und blieb sitzen. Assadi senkte den Kopf, bewegte sich nicht, ja wagte kaum zu atmen und wie auf unsichtbaren Schienen geleitet wendete das Tier ab, brüllte und rannte in weiterer Entfernung auf und ab. Der Junge in seiner erzwungenen Ruhe und der Löwe vom rastlosen Umhersprengen erschöpft, schliefen bald ein und lagen da nur einige Meter voneinander im Gras, als ob sie Freunde werden könnten, wenn nur der Starrsinn und all das, was sie voneinander gelernt hatten, im Schlaf versunken war. Der Löwe erwachte zuerst und schlich lauernd um den schlafenden Jungen. Roch an ihm, leckte sich das Maul und merkte doch, dass es falsch wäre, ihn zu verspeisen. Auch er würde kaum gerissen zu einer Blume zerfallen, die dahinflog über den Hügel hinweg. Und zu befürchten hatte der Löwe von ihm vorerst nichts. Da wachte der Junge auf, blickte in die großen Augen des Tieres. Aus jeder Faser seines Körpers musste er ein Schwert formen um gegen die ungeheure Angst anzukämpfen, die sein Inneres erklomm. Doch Assadi besiegte seine Furcht und sah seinerseits, das nichts Böses ihn aus den Augen des Tieres anblickte. So bewegte er wie ihn Zeitlupe seine Hand zu dem Rucksack und zog das letzte Wurstbrot heraus und hielt es dem Tier vor das riesige Maul. Der Löwe drehte stolz den Kopf und wollte nichts. Verzweifelt dachte der Junge an all die anderen, die er retten wollte und sehnte sich in die Arme der Eltern. Da musste eine Liebe in ihm erstrahlen, die das Tier umstimmte. Er schnappte nachassadi6 dem Brot und ließ genau die Hälfte in der Hand des Jungen. So teilten die beiden ihr Essen und wurden tatsächlich Freunde und sie spielten zusammen und vertrauten einander bald ganz. Schon die dritte Nacht verbrachte der Junge an das Tier gekuschelt und tröstete sich an der Wärme seines Felles über all sein Leid. Dann aber spürte er, dass der letzte große Schritt zu tun war. Er schritt auf den Löwen zu und bedeutete ihn sich hinzulegen, so dass er auf seinen Rücken steigen könnte. Das Tier wand sich und brüllte Furcht erregend. Doch dieses Mal hatte der Junge allen Mut beisammen und konnte nicht erschüttert werden. So ritt der kleine Junge Assadi, glaube es mir, auf dem riesigen Löwen viele Tage und Nächte durch finstere Berge und Täler geradewegs zu den als Blumen verzauberten Menschen und stand da auf der lichten Wiese und sah vom Rücken des Löwens all das Schöne in den tausenden Blümchen so lange an, bis sie alle aufstanden, die Tausende, und sich ihm anschlossen in seiner Art des Kampfes den bösen Herrscher für alle Zeiten zu besiegen.

Ende


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